Wie wichtig ist heute Gendern in der Arbeitswelt?
Unsere Lebenswelt war lange Zeit von Männern dominiert. Studien zeigen, dass die männliche Form in der Sprache eher mit Männern assoziiert wird und dass Frauen und andere nichtmännliche Personen sich vom generischen Maskulinum nicht so angesprochen fühlen wie von einer inklusiven Form.
Es zeugt heute von gutem Stil, in Wort und Schrift beide Formen zu benutzen, denn durch eine geschlechtergerechte Sprache erzeugen wir eine angemessene gedankliche Repräsentation von Frauen und nichtbinären Personen. Alle haben ein Recht auf Sichtbarkeit. Die Haltung verändert die Sprache, nicht andersherum. Änderungen kommen aus der Kultur heraus und dann formt Sprache wiederum unser Denken und Handeln.
Laut einer Umfrage von Infratest dimap im Mai 2021 halten 65 Prozent der deutschen Bevölkerung nichts von einer stärkeren Berücksichtigung unterschiedlicher Geschlechter in der Sprache – obwohl im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in der Verwaltung und an den meisten Hochschulen Gendern mittlerweile Alltag ist. Insgesamt 18 der DAX-30-Unternehmen gaben im März 2021 an, dass sie geschlechter-gerechte Sprache schon eingeführt haben. Sechs weitere Konzerne planen die Einführung. Ist eine geschlechts-neutrale Sprache einmal in die Unternehmenskultur integriert, haben alle Mitarbeitenden Sicherheit bei der internen- und nach draußen führenden Kommunikation.
Welche Regeln sollten konkret beachtet werden?
Zugegeben: Es macht am Anfang ein bisschen Mühe – aber die lohnt sich. Wer gender-sensibel formulieren möchte, kann sich aller Facetten der Sprache bedienen:
- Oft kann geschlechts-neutral formuliert werden: Das generische Maskulinum sind wir gewöhnt, es spricht aber nur Männer an. Beispiele für neutrale Schreibweisen sind folgende: Kundschaft, Abteilungsleitung, Interessierte (statt Interessenten), Wartende, Studierende, Jugendliche, Steuerpflichtige …
- Es ist wenig sinnvoll, Wörter zu gendern, die an sich schon geschlechtsneutral sind, zum Beispiel „der Mensch“. Dieses Wort ist grammatikalisch gesehen zwar männlich, es bezeichnet aber sowohl Männer als auch Frauen und nichtbinäre Personen. Keine Auskunft über das Geschlecht der Person geben zum Beispiel diese Wörter: die Person, das Mitglied, das Kind, das Individuum, die Kraft, die Hilfe …
- Wenn Adjektive das Wort „Mann“ enthalten oder sich auf Personen beziehen, kann so gegendert werden: fachmännisch gleich fachkundig, unbemannt gleich ohne Besatzung, Anfängerkurs gleich Einstiegskurs oder Kurs für Anfänger:innen)
- Oft ist es für einen guten Lese- oder Redefluss richtig, Begriffe in der weiblichen sowie in der männlichen Form zu gebrauchen, etwa „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ (hier aber auch: „die Belegschaft“, „der Mitarbeiterstab“, „das Projektteam“).
- Bestimmte Pronomen mit eindeutiger Geschlechtszuschreibung (jeder, wer, einer, keiner, man) können durch einfache Verwendung des Plurals vermieden werden:„Bei der Zulassung zur Prüfung ist nachzuweisen …“
- „Mitarbeiter:innen“ – diese Schreibweise mit dem Doppelpunkt ist dem Sternchen (Mitarbeiter*innen) immer dann vorzuziehen, wenn Texte einstellt werden, die auch mit Screenreader vorgelesen werden. Das ist eine Erleichterung für blinde und sehbehinderte Menschen. Steht ein Doppelpunkt in z. B. „Kolleg:innen“, dann macht das System nur eine kurze Pause, steht jedoch ein Sternchen dort, wird “Kolleg-Sternchen-innen“ vorgelesen.
- Der Glottis-Schlag, also die kleine Pause z. B. im gesprochenen Wort „Mitarbeiter:innen“ wird sich mehr und mehr durchsetzen.
Ist die Anrede „Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren noch zeitgemäß?
Ja, wenn es über die Geschlechterzugehörigkeiten keine Unsicherheit gibt.
Personen mit nichtbinäre Geschlechtsidentität fühlen sich folglich bei „Sehr geehrte Damen und Herren“ / „Meine Damen und Herren“ nicht angesprochen.
Ob im Schriftverkehr oder in der persönlichen Ansprache bietet sich hier ein „Guten Tag, Vorname, Nachname“ als Anrede an. Im Zweifelsfall wird nachgefragt: „Herr, Frau, neutral: Wie möchten Sie angesprochen werden?“ Für Ansprachen ist ein neutrales „Guten Tag Ihnen allen“, „Liebe Gäste“ oder „Herzlich willkommen in/bei … positiv.
Auch wenn das Gendern mit Sternchen, Doppelpunkt und geeigneten Wortfindungen noch etwas hölzern erscheinen mag, ist es doch derzeit die beste Möglichkeit, sprachliche Aufmerksamkeit auf eine genderneutrale Ausdrucksweise zu lenken. Susanne Helbach-Grosser, Oktober 2021