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„Unsere tolle Jugend“

Der 12-jährige spricht mit einer ihm, bis dahin fremden Frau über Fußball – seinem Lieblingsthema. Die Frau ist interessiert, spielt ihr Enkel doch auch in der D-Jugend. Sie stellt Fragen. Plötzlich quakt der kleine Bruder des Jungen. Er beruhigt ihn und wendet sich wieder der Frau zu: „Entschuldigung, ich habe Sie unterbrochen.“

Die Frau ist baff. Sie auch?

Studien zum Verhalten von Kindern und Jugendlichen gibt es wie Sand am Meer. Auf Schulhöfen wird demnach geraucht, getrunken, gemobbt, mit Drogen gehandelt und werden Pornos ausgetauscht. Wer eine eigene Meinung hat, wird verstoßen. Fragt man Google, findet man etwa 2.390.000 Ergebnisse.
Die Klagen der Personalverantwortlichen und Ausbilder kennen wir alle: Diese Jugend sei ohne Biss. Alles Bildungsverlierer – fordernd, verwöhnt und weltfremd. Willkommen in der Welt der „Generation Y“ – beschönigend für „Weichei“.

Schuldige für die „Portfolio-Kinder“ gibt’s auch, na klar: Helikopter-Eltern, die ständig über ihren Kindern schweben, um deren Bedürfnisse zu erkennen, die „Curling-Mum“, die jeden Stein aus dem Weg kehrt. Eine Generation, die es von Geburt an gewohnt ist, im Mittelpunkt zu stehen. Mein geliebtes Premium-Kind! Daraus kann ja nichts werden.

Die jungen Erwachsenen, die da momentan in die Wirtschaft drängen, heißt es setzen den Unternehmen arg zu. Natürlich gibt das niemand offen zu – schließlich braucht die Wirtschaft die Generation Y. Knapper Nachwuchs wegen des demografischen Wandels. Versteht ja jeder.

„Prägend für diese Generation sind insbesondere eine starke Leistungsorientierung und ein ausgeprägter Sinn für soziale Beziehungen.“ Zu diesen Erkenntnissen kommt die 16. Shell Jugendstudie, die die Jugend 2010 unter die Lupe nahm. „Es zeigt sich ein bemerkenswerter Optimismus, aber auch eine deutliche Schichtabhängigkeit“.

Ja, wie denn nun? – möchte gefragt werden.

Im Jammern und Klagen macht uns keiner etwas vor. Früher war alles besser. Oder?

„Ich setze überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere heutige Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“ (Aristoteles, griechischer Philosoph, 4. Jahrhundert vor Christus.)

Sehen wir es einmal anders herum: Das Wertesystem der nach 1980 Geborenen (Millennials oder GenY) ist ihrer Vorgängergeneration unähnlich. Sie verlangen Sinnhaftigkeit von ihrer Arbeit und möchten Beruf und Privatleben dauerhaft in Einklang bringen. Darüber hinaus erwarten sie – selbst sehr leistungsbereit – schnelle Gegenleistung und Anerkennung. Nach ihrem Rollenverständnis wünschen sie sich einen Chef mehr als Coach denn als Vorgesetzten, soll er doch permanent Feedback geben und auf Augenhöhe mit ihnen kommunizieren. Das sind sie von Kindesbeinen an gewöhnt. Die nach 1980 Geborenen scheinen keineswegs unverschämt in ihren Forderungen, nur anders sozialisiert.

Die jetzige Jugend ist nicht auf Krawall gebürstet. Junge Männer zwischen 16 und Mitte 20 bieten bepackten Frauen ganz von sich aus an, Koffer die Treppen der U- und S-Bahn hoch zu tragen. (Vielleicht eine Falle? Klauen die gleich den Koffer?) Burschen im heiklen Alter von 15 Jahren machen doch tatsächlich höflich auf einen freien Sitzplatz aufmerksam: “Hier ist noch Platz, möchten Sie sich setzen?”

Großartige Jugendliche, die an ihrem Smartphone kleben wie Gummibärchen in der Sonne und trotzdem höflich sind, auch wenn sie vielleicht „nämlich“ mit h schreiben aber einem (mit nur einer Tüte Milch in der Hand) den Vortritt an der Supermarktkasse lassen.

Und – der in jeder Beziehung stilvoll zurechtgemachte Punk hält nachts im Vorstadtzug dem Rentner die Durchgangstür auf. Wieder einer, der baff ist. „Nicht wahr, man erlebt noch Wunder?!“ sagt der Punk. Ja, lauter herzensgute Menschen um uns herum!

„Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend! Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wie viel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte.“ Mark Twain. Susanne Helbach-Grosser (April 2014)