Von Grapschern + Co. Für die sexuelle Selbstbestimmung
Das flächenmäßig größte Sinnesorgan des Menschen ist die Haut. Berührungen sind ein wichtiger Bestandteil menschlicher Beziehungen. Wissenschaftler vermuten, dass die evolutionären Ursprünge auf das sogenannte Allogrooming zurückgehen. Diese gegenseitige Körperpflege diente weniger der Hygiene, eher der sozialen Bindung. Im normalen heutigen Miteinander kann ein aufmunterndes Schulterklopfen oder ein Streichen über den Arm wirkungsvoller sein als Worte. Der Empfänger einer Berührung interpretiert dieses als Zeichen von Vertrauen, was wiederum seine eigene Kooperationsbereitschaft erhöht. Midas Touch ist der psychologische Begriff dafür – nach einem König der griechischen Mythologie, der angeblich alles, was er anfasste, zu Gold verwandelte.
Privat wie beruflich hängt der Grad der körperlichen Nähe ganz entscheidend von der Beziehung und der emotionalen Bindung der Beteiligten ab. Die Berührung durch einen Höherstehenden stärkt oft das Selbstbewusstsein des Berührten und wird als Lob empfunden. Dabei spielt der soziale Rang eine Rolle, denn generell berühren Menschen mit höherem Status Personen mit niedrigerem Status häufiger als umgekehrt. Zwischen allen Hierarchieebenen sollte ausnahmslos ein Rahmen frei von körperlicher Annäherung gewährleistet sein. Das gilt für Männer ebenso wie für Frauen, allerdings sind Frauen im Berufsleben immer noch häufiger in niedrigeren Positionen abhängig beschäftigt als Männer. Menschen, die ihre Machtposition ausnutzen, um sexuell übergriffig zu werden, sind weder verantwortungsbewusst noch psychisch stabil. Wer sich in anderen Kulturen bewegt, achtet noch mal mehr auf professionelles Verhalten.
Sexuelle Belästigungen im Beruf gab es schon immer. Viele Frauen haben lange über solche Erfahrungen geschwiegen, weil sie nicht als weinerlich oder hysterisch gelten wollten. Heutzutage hat die Bereitschaft zugenommen, über fehlenden Respekt und Grenzüberschreitungen zu sprechen. Auch können sich Täter nicht mehr mit Unkenntnis herausreden oder dass der Übergriff wohl ein missglückter Flirtversuch gewesen sei. Sexistische und diskriminierende Äußerungen, Gesten, Blicke und scheinbar „zufällige“ Berührungen sind kein Kavaliersdelikt. Leider ist Sexismus im Büro auch heute noch alltäglich. Als Brutstätten für Grabschereien werden oft betriebliche Freizeitaktivitäten, Office-Partys und Kundenveranstaltungen, wie zum Beispiel Messen oder der Besuch des Oktoberfestes genannt. Häufig passieren Distanzverletzungen aber auch schon beim gemeinschaftlichen Arbeiten am Bildschirm. Der Chauvinist drängt sich in der Kantinenschlange an sie, beim Platznehmen im Meeting streift seine Hüfte wie zufällig ihre Schulter, er knetet ihr ungefragt den Nacken: „Sie sehen so verkrampft aus, als könnten Sie eine Massage gebrauchen“.
Was kann eine Frau tun? Da Menschen erfolgreiches Verhalten wiederholen, sollte die Betroffene laut und deutlich „Stopp“ sagen und die Situation in Worte kleiden: „Warum geben Sie mir einen Klaps auf den Hintern? Finden Sie das angebracht?“ Bejaht der Verursacher, macht die Betroffene die Situation öffentlich: „Hey Betty, Herr Meiser findet es okay, mir auf den Po zu hauen. Was sagst du dazu?“ Hilfreich ist es, sich eine eigene „Toolbox“ mit Sprüchen einzurichten, damit niemand in solchen Situationen sprachlos ist. Eine starke Mentorin oder Kollegin als Vorbild ist ebenfalls hilfreich.
Was kann der Verursacher tun? Viele behaupten, dass ihnen ihr Verhalten nicht bewusst war. Heißt im Klartext, sie hätten nicht nachgedacht oder es war ihnen egal. Wenn jemand sagt, er oder sie fühle sich von jemandem konkret angemacht, muss derjenige sich in aller Form entschuldigen, Offenheit für die Kritik an seiner Person zeigen und Bereitschaft signalisieren, sein Verhalten zu ändern. Zoten und Handgreiflichkeiten sagen im Übrigen viel über den Urheber aus…
Was tut der Arbeitgeber? Er ist gesetzlich verpflichtet, seine Mitarbeiter*innen vor sexueller Belästigung zu schützen; unmittelbare Vorgesetzte sind verantwortlich, ein Klima zu schaffen, das sexistisches Verhalten von vorn herein disqualifiziert.
Verbale Attacken am Arbeitsplatz werden entweder intern gelöst, sie gelangen zum Ombudsmann des Unternehmens oder vor die Gleichbehandlungsanwaltschaft – denn ein körperlicher, sexuell motivierter Übergriff kann strafrechtlich verfolgt werden. Susanne Helbach-Grosser (2019)