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Authentizität

„Wenn man authentisch ist, gefällt man anderen automatisch.“ (Konstantin Wecker)

Wirklich? Immer?

In meinen Seminaren höre ich von Zeit zu Zeit: „Ich bin wie ich bin – privat und auch im Beruf!“ „Wenn ich mir diese oder jene neue Verhaltensweise aneigne, dann verbiege ich mich, wirke nicht mehr echt.“
Natürlich ist es schön, die eigene Individualität authentisch leben zu können, sich transparent zu verhalten und Emotionen zu zeigen“. Manche verwenden diese Ansicht jedoch, um schonungslos ihre Meinung zu äußern („Meine Kollegen kennen mich doch und können damit umgehen!“) Ihre miserable Affektkontrolle deklarieren sie als authentisch. Klarheit ist keine Abwesenheit von Menschlichkeit! Wer stets seinem Unmut Luft macht oder seine Emotionalität ungebremst auslebt, zeigt zwar sein wahres Ich: dem Miteinander ist das nicht förderlich.

Für viele Menschen dient „Authentizität“ als Entschuldigung für ein Verharren in der Komfortzone – im Gewohnten.

Sie verbauen sich damit die Chancen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Denn die ist kein zementierter Zustand. Das sich erwachsene Menschen nicht mehr ändern können, ist ein Trugschluss. Nach einer Studie von Margaret King und Jamie O’Boyle verändern wir unsere Identität vielmehr im Schnitt alle 20 Jahre. Die typischen Anpassungsphasen liegen in den Lebensjahren zwischen 15 und 20, 35 bis 40, 55 bis 60 sowie über 75 Jahren. Gene nehmen zudem allenfalls 20 bis 50 Prozent Einfluss auf den Charakter eines Menschen. Der Rest ist freier Wille. Der abgeschlossene, fertige Mensch ist also eine Illusion.

Außerdem haben Gehirnforscher im Frontallappen der Großhirnrinde den präfrontalen Cortex entdeckt. Klein und unscheinbar hinter der Stirn birgt er doch all unsere höheren Fähigkeiten: Empathie, Kreativität, Gerechtigkeitssinn, Urteilsvermögen, Impulskontrolle etc. Und breaking news: Eine Harvard Medical Boston-Studie zeigt, dass es nur wenige Wochen braucht, diese Zentren zu aktivieren!
Unsere Persönlichkeit ist also im Fluss!

Authentizität ist heutzutage in aller Munde (mehr oder weniger flüssig ausgesprochen) und ein hohes Gut. Authentizität das Schlüsselwort für unsere Einzigartigkeit. Ganz echt zu sein führt allerdings nicht immer zum Ziel. Je statischer die Persönlichkeit eines Menschen ist, warnen Psychologen, umso schwerer wird er es finden, sich an neue Umstände anzupassen, und umso stressanfälliger wird er sein. Manchmal ist es vorteilhaft, wenn man sich ganz bewusst anders verhält, als es der eigenen Persönlichkeit entspricht.

Autoren wie die Prof. Ben Fletcher und Karen Pine nennen dies to flex (dehnen/biegen), denn jeder Mensch habe die Kapazität, unterschiedliche Personen zu sein (B. Fletcher, K. Pine: Flex. Do something different.). Sich öfters out of character zu verhalten empfiehlt auch der Persönlichkeitspsychologe Brian Little (Universität Cambridge). Durch das Angewöhnen neuer Verhaltensmuster und das erkennbare positive Feedback von außen stabilisiert sich auch die Selbstsicherheit.

Wir spielen alle unsere Rollen, entsprechen Erwartungen im Job, erfüllen Klischee … Aber nur so zu tun, als ob, ist anstrengend. Wer im Beruf über längere Zeitspannen eine Pokerface-Haltung aufrechterhalten „muss“, benötigt unbedingt Orte, an denen er so sein kann, wie er wirklich ist. Untypisches Verhalten kann unendlich aufreibend sein. Gesünder geht anders.

Egomarketing ist ein deutlicher Trend, bei dem es nicht um das künstliche Verstellen geht, sondern die bewusste Betonung der eigenen Stärken. Die positive Online-Reputation (das virtuell designte Image) wird für den Erfolg immer wichtiger. Das Ziel für eine Führungspersönlichkeit muss heute lauten: „Souveränität, die authentisch wirkt“ meint der Münchener Experte für Auftreten und Wirkung, Michael Moesslang, denn:

• Wen überzeugt letztlich mein sicheres Auftreten nach außen, wenn es innerlich keine Entsprechung hat?
• Wen wollen Sie täuschen, wenn Sie nach außen gesellig und witzig tun, sich innerlich aber total einsam fühlen?
• Was nützt es, anderen zu gefallen, wenn Sie sich selbst nicht gefallen?
Einfach mal sein „Charakterfach“ wechseln?

Wer sich entwickelt muss Eigenverantwortung übernehmen. Wer Fehler macht, diese jedoch erkennt, kann sich anpassen und verändern – und dennoch authentisch bleiben. Das ist ein wesentlicher Charakterzug der Authentizität. Veränderung der eigenen Wirkung bedeutet oft Stress. Könnte dabei die Authentizität leiden? Also Widerstand. Aber durch die so genannte „Stress- und Entwicklungszone“ muss man durch. Jetzt unmittelbar in der „Panikzone“ zu landen, hieße schnellstmöglich wieder in die „Komfortzone“ zu flüchten. Mit der festen Überzeugung: Es ist besser, „authentisch“ zu bleiben. Schuster, bleib bei deinen Leisten! (Hans-Jörg Schumacher, Managementberater)
Auf der anderen Seite muss jener „erfolgreich Weiterentwickelte“ dann auch bereit sein, andere Meinungen zu ertragen, Menschen mit Ecken und Kanten vielleicht sogar als Bereicherung zu sehen. Gerade jetzt ist im Internet zu beobachten, wie unreflektierte, authentisch, aber niveaulose Ansichten zur Flüchtlingsproblematik verbreitet werden. Das beweist geistige Unreife!

Im Alltag fallen wir gerne auf die Rapporttechniken unseres Gesprächspartners herein: angepasste Körpersprache, gleiche Ausdrucksweise … Verhält er sich unseren Vorstellungen entsprechend, empfinden wir ihn als vertrauenswürdig und authentisch, obwohl er nur eine Rolle spielt. (Oder geht vermeintlich weniger Gefahr von ihm/ihr aus, sobald Sympathie ins Spiel kommt?) Das ist dann doch auch nichts weiter als eine Masche, nicht wahr?

Authentizität und Professionalität schließen sich nicht aus, denn strategisches Denken, ist im Berufsumfeld notwendig. Wir leben nun mal in einer Welt, die Angepasstheit verlangt. Starke authentische Führungs-Persönlichkeiten mit Charisma kennt jeder: Mahatma Gandhi, Mutter Teresa, Dalai Lama, Nelson Mandela … Sie haben alle ihre gesetzten Ziele strategisch verfolgt. Und wir kennen auch das Gegenteil – die Maskenträger.

Authentisch sein, bleiben oder werden

Wie gewinne ich Authentizität?

Selbstreflektion ermöglicht es, unsere Motive, Stärken und unsere individuellen Bedürfnisse unverschleiert zu erkennen. Erst dann kann man seinen eigenen Weg gehen.

Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit: Wer seine rosarote Brille zur Selbstbetrachtung gegen eine mit Klarscheiben eintauscht, wird auch seine negativen Seiten erkennen und unangenehmes Feedback akzeptieren. Der Mut zur Wahrheit – auch zu einem klaren NEIN, ist für unser Gegenüber immer auch ein Vertrauensbeweis.

Wenn alles einander konsequent entspricht – das Wertesystem, die optische Hülle, Umgangsformen, Sprache und Taten – dann sind wir glaubwürdig. Authentizität ist etwas Ganzheitliches.
„Wenn man authentisch ist, gefällt man anderen automatisch.“ Ja, wenn man authentisch zu der eigenen momentanen Stimmung ist – authentisch zu seinen Werten, seinen Zielen. Susanne Helbach-Grosser (2018)