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Schick gemacht für den Abschlussball

Wer dieser Tage Gruppenfotos von Abiturklassen anschaut, wird bemerken, wie viele der jungen Männer die Schleife zum Anzug wählten.

Hatte die Fliege nicht bis vor Kurzem noch ein arg angestaubtes Image? Operndirigenten tragen sie, Professoren in Wissenschaft und Forschung, unser Opi eventuell, Kellner und der Barkeeper. Staatsanwälte und Richter dürfen sie als Teil der Amtstracht binden. Und natürlich verlangen die klassischen Dresscodes „black tie“ und „white tie“ noch immer nach einer schwarzen beziehungsweise weißen Schleife.

Ein Comeback für den Querbinder?

Die großen Labels Gucci und Versace führen sie wieder in der Kollektion. Tommy Hilfiger auch. Ebenso H&M. In Dear Old Englang ist sie schon immer beliebt, in den USA der letzte Schrei. Es gibt sie zum Selbstbinden und fix und fertig aus fast allen Materialien wie Seide, Samt, Baumwollpikee, Viskose oder Kord. Das Selbstbinden erfordert zwar etwas Übung, die englische Redensart „a gentleman’s one“ ist für Schleifenliebhaber jedoch Gesetz: Nur selbstgebunden ist SIE eines Gentlemans würdig!

Alle bisher hier genannten Bezeichnungen für die Fliege sind korrekt. In Österreich sagt man Mascherl dazu, in der Schweiz auch Schlips. Eine Schleife zu fertigen ist ein aufwendiger Prozess. Gute haben deshalb ihren Preis.

Der Vorteil einer Schleife liegt auf der Hand: sie beim Essen zu bekleckern bedarf einiger Akrobatik oder grottenschlechter Tischmanieren; muss mann sich vorbeugen, baumelt sie nicht auf ein Objekt. Frauen finden (ihre) Männer angeblich schick mit Fliege und brauchen zurzeit wenig Überzeugungskraft, um IHN für diesen modischen Hingucker zu erwärmen. Gerade jüngere Männer sehen in der Schleife eine elegante Alternative für Abendveranstaltungen.

Die Krawatte hingegen erlebt zurzeit ihren Niedergang, möchte man meinen. Alle oben ohne!

Firmenchefs zeigen sich auf Geschäftsfotos gern betont locker und möchten mit der neuen (inszenierten?) Lässigkeit ihre Elitefunktion unterstreichen: Seht her, wir können auf solchen Formenkram verzichten.

Von oben auferlegter salopper Kleidungsstil kann in manchen Branchen bestimmt Barrieren zum Kunden abbauen, dadurch mehr Nähe erzeugen und dem Gegenüber auf Augenhöhe begegnen. Der „funkelnagelneue“ Schlachtruf: „Der Kunde soll sich wohlfühlen“ wird sehr bald in Studien hinterfragt werden. Eine der Erkenntnisse wird dann sein, dass viele Männer, die die Krawatte weglassen, nicht automatisch legerer wirken.

Ich fühle mich jedenfalls immer noch wohl und ernst genommen, wenn mich mein Banker mit Schlips berät. Förmliche Kleidung schafft nicht immer Distanz. Es gibt noch viele Branchen, in denen Seriosität auch äußerlich wichtig ist. Der Zeitstil zum offenen Kragen scheint ein nordeuropäisches Phänomen zu sein, oder kennen Sie einen italienischen Geschäftsmann, der mit offenem Kragen und Anzug zum Meeting erscheint?

Vielleicht ersetzt der K-Schal (Ascot) die neue Krawatte. Obwohl sich der echte Krawattenträger nicht von augenblicklichen Trends beirren lässt. Für ihn ist der „Strick“ unsterblich. Und wenn immer ein Finger breit Luft zwischen Hals und Hemdkragen ist, muss sich kein Mann wie in einer Zwangsjacke fühlen. Susanne Helbach-Grosser (2017)