Takt und Stil Logo

„Letzter Aufruf für Herrn Reinhard S.!“

Sichtlich gerädert erreicht er gerade noch die Maschine und fällt hochrot im Gesicht und schweißgebadet in seinen Sitz. Kurze Zeit danach frage ich mich bei seiner eindeutigen Geste: ob er sich wohl ganz sicher ist, sein Jackett jetzt ausziehen zu wollen?

Anlassen oder ablegen?

Nicht immer geht eine zu erwartende Geruchsbelästigung mit dem Ablegen eines Kleidungsstückes einher. Manchmal gehört sich eigenmächtiges Entblättern einfach nicht. In überheizten Räumen oder bei (halbwegs) offiziellen Anlässen im Hochsommer ohne Klimaanlage kann man nicht wirklich jemandem „Schwitzen für die Etikette“ verordnen. Doch sei die Frage erlaubt: inwieweit beeinflusst das abgelegte Jackett die eigene Professionalität negativ?

Mitdenkende Gastgeber, die schon beim Eintreffen dazu auffordern, die Jacketts an der Garderobe zu lassen, schließen wir ins Herz. In Besprechungen fragt der um Marscherleichterung, der am meisten „leidet“ – stilvoll müsste der Ranghöhere diese vorschlagen. Generell gilt: Ein Herrenhemd ist keine Oberbekleidung! Und die Rolle entscheidet – behält der Kunde sein Jackett an, dann ich ebenfalls; sind wir als Geschäftspartner auf Augenhöhe, kann ich es vorschlagen.

Mitwirkende an einem Geschäftsessen sehen zur Vorspeise oft anders gekleidet aus als zum Dessert. Jetzt ist der Hosenbund gelockert, die Krawatte und der Kragenknopf sowieso. Sieht irgendwie betrunken aus – oder gestresst!

Nach langen Geschäftsterminen oder ausgiebigen Einkaufstouren kann in einem leeren Zugabteil das Hochlegen der Beine (schuh- und geruchlos!) eine wahre Wonne sein. Stilvoll werden die Füße vom Sitz genommen, sowie jemand das Abteil betritt, denn zu unserer Kultur gehört es nicht, in Gesellschaft seine Füße zu entblößen. Ausgenommen sind hier natürlich religiöse Stätten und entsprechende Länder, an/in denen dies erwartet wird.

„Da ich das Parkett bezahlen muss, entscheide ich auch, wer es kaputtmacht!“
In manchen Gegenden Deutschlands werden Sie als Gast doch tatsächlich gezwungen, sich im Flur Ihrer Schuhe zu entledigen! Sogar wenn Sie Vertreter sind oder zu einer Abendgesellschaft gehen! Wer jedoch in Cocktailkleid oder Anzug und Filzpantoffeln dasteht, verliert seine Souveränität und fühlt sich erniedrigt. Wenn Sie diese Unsitte kennen, bringen Sie sich am besten blitzblanke „Party-Shoes“ mit und wechseln diese möglichst schon vor der Tür. Die Gastgeber sollten das allerdings mitbekommen. Kleiner Trost: Auf Yachten sind Mörder-Heels auch nicht erwünscht.

Von Hüten, Beanies + Basecaps

Hüte werden von Frauen bei offiziellen Cocktailpartys, Empfängen, Gartenpartys, Hochzeiten und Pferderennen getragen. Innerhalb geschlossener Räume behalten Frauen ihren Hut bei eben genannten Gelegenheiten auf, falls er nicht zu groß ist und stören würde. Im Theater/Kino nimmt ein Hut meistens anderen Personen die Sicht – hier wird er selbstverständlich abgenommen. Männer tragen Hüte nur im Freien (ausgenommen Synagogen …).

Die Beanie-Mütze („bean“ für Bohne) muss ER tragen können – nicht allen steht sie so gut wie Ashton Kutscher. Das vielleicht modischste, fein gewirkte Accessoire der vergangenen Jahre wird mit Vorliebe drinnen getragen – oder auch dann nicht abgenommen. Das kann beim Bewerbungsgespräch gar nicht cool und lässig rüberkommen.

Auch das Basecap wird von Männern heutzutage kurzerhand zu Bestandteilen ihres Outfits erklärt und wirkt wie angewachsen. Tja, der Zeitgeist kommt nicht immer respektvoll und stilsicher daher. Frage: Fashion, Glatze, Moslem …?

Die Queen lässt sie immer an – vor allem bei der Begrüßung.

Ein Handschlag zählt erst bei entblößter Hand so richtig. Tragen beide in eisiger Kälte Handschuhe, sollten sie sich verständigen. Lange Ballhandschuhe bleiben, wo sie sind – an Hand und Arm.

„Können Sie meine Augen sehen?“ ist die Frage an den Gesprächspartner, wenn einer optische Sonnenbrillengläser trägt, die er nicht schnell mal abnehmen kann. Wer die dunklen Gläser in geschlossenen Räumen aufbehält (Mann, bin ich wichtig!) oder ins Haar schiebt, ist sich einer gewissen, wenn auch zweifelhaften Aufmerksamkeit sicher. Verspiegelte Brillen sind tabu, weil man die Augen des anderen nun wirklich nicht sehen kann. Sehr unhöflich. Dahinter kann mein Gegenüber alles treiben – ein Nickerchen machen schlimmstenfalls. Susanne Helbach-Grosser (2013)