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Knut Kuhlmann bleibt cool

Mit guten Umgangsformen und dem stilsicheren Auftreten im Business und insbesondere bei Geschäftsessen ist das so eine Sache – aber bei einem weltgewandten Connaisseur wie K. K. kein Problem! „Meinen Sie wirklich, dass Kuhlmann der Richtige für die abendliche Betreuung von Mme Roussel ist? Haben Sie mal gesehen, wie er in der Kantine über seinem Essen hängt?“ „Die letzten Kundenfeedbacks über ihn waren ja okay, geben wir ihm doch eine Chance mit unserer toughen Französin und ihren Kollegen.“

Heute gilt es also, ein Geschäftsessen souverän zu meistern. Die leichteste Übung für Knut Kuhlmann. Zupackend, wie er ist, mit Sinn fürs Praktische, übernimmt er im Restaurant kurzerhand die Regie. Er stellt eigenhändig zwei Tische zusammen, schleppt einen Stuhl beiseite, organisiert die Speisekarten und zündet die Kerze an. Time is money.

Apropos Service: Kuhlmann, unser Freund der klaren Worte, ist sich sicher, dass es schrecklich viel Halbwissen rund um die Tischkultur gibt. Und klärt auf: „Machen Sie mal dem Küchenchef nach einigen Bissen klar, dass sein Essen grottenscheußlich ist! Geht gar nicht. Muss es zurück in die Küche, spuckt der eingeschnappt drauf. Lieber aufessen und sich anschließend beschweren.“ Jeder Gastronom sollte seinen Betrieb durch die Brille des Gastes sehen, ist Kuhlmann überzeugt.

In Deutschland hat man in manchen Restaurants der Trüffel-Klasse das Gefühl, erstmal eine Prüfung ablegen zu müssen, bevor man die Küche bemühen darf. Der Oberkellner fungiert überheblich und gelangweilt wie ein Vorgesetzter, von der Auszubildenden muss man sich wie ein Schulbub behandeln lassen. Oder sie nehmen uns im Sieben-Minuten-Takt ins Kreuzverhör, ob alles recht sei und ziehen hyperaktiv nach dem letzten Bissen den Teller unter unseren Händen weg. Dieser ganze noblesse-oblige-Kram! Als einzelner Gast zwischen zwei Tischen mit Stammgästen ist man allerdings für den Kellner ein Nobody. Wer etwas verkaufen will, darf nicht arrogant sein!

Kuhlmann ist gewiss kein kulinarischer Maulheld: „Ich sage euch, das Nirvana für Fleischfans ist ein Wagyu Strip Loin (Kobe-Beef), aber kaum zu bezahlen“. Er ist auch kein kulinarischer Nervtöter, denn er hat längst nicht jede diesbezügliche Kritik gelesen. Ein wenig schwächelt er allerdings, wenn er von der haute cuisine schwärmt, die er sich sonst gönnt, während er seine Gäste schlicht bewirtet.
Und immer diese Fehlinformationen um den Benimm bei Tisch. Man lernt doch schon im Kindergarten, dass Hähnchenschenkel und Koteletts nur auf urigsten Bierfesten oder beim Picnic am Strand in die Finger genommen und abgenagt werden; dass für alles Unerwünschte im Mund (Gräte, Knöchelchen …) generell gilt: Wie hinein, so hinaus – also meistens mit der Gabel. Obwohl es für den Essenden meist kein Problem darstellt, zu kauen und zu formulieren, macht es den anderen wenig Freude zuzusehen, wie Sauerbraten zerbissen, Spätzle zerquetscht werden zwischen Zähnen, Gaumen und Zunge. Also spricht man auch nicht mit vollem Mund.

Erst neulich machte sich Kuhlmann Gedanken über die Fixierung der Westeuropäer auf Tischmanieren. Sie ist historisch gesehen relativ neu. Als die Ritter noch rülpsen durften, war es eine ausgemachte Sache, dass man mit den Fingern und einem säbelartigen Messer aß. Jeder vom selben Gericht. Wenn jemand seine Mückenstiche oder Läusebisse kratzen musste, war es am besten, dies nicht mit dem nackten Finger zu tun, sondern diesen mit einem kleinen Stück Tuch zu umwickeln. Einer der ersten Vermittler von Bildung und Umgangsformen war Erasmus von Rotterdam (1466-1536). Im Gegensatz zum einfachen Volk sollten die vornehmen Leute fortan eine gewisse Feinfühligkeit kultivieren und spontane Verhaltensweisen unterdrücken. Bis heute hat sich dieses „Unterdrücken der spontanen Verhaltensweisen“ weiterentwickelt.

So erfolgreich, dass man kaum noch über die Sache mit dem Rest in der Suppentasse reden muss, findet Kuhlmann. Kreative Restaurants lassen sich da ja kulinarischen Schnickschnack für das Papaya-Curry-Süppchen einfallen, denn auch das Essen muss Werbung für sich machen: Flüssiges aus Reagenzglas, halbierter Konservendose, zwergenhaftem Weckgläschen, aus der Blechumhüllung eines Teelichts. Um hier an den Rest zu kommen, trinkt man ihn aus. Sonst nicht. Mancherorts sieht man auch, wie die restliche Suppe in den Löffel gegossen wird. Das ist nun wirklich … unaussprechlich!

Als charmanter Gastgeber hat er Mme Roussel ein Gäbelchen von seinem Wolfsbarsch mit aufgeschäumter Buttersauce an die Lippen gehalten: „Hmm, müssen Sie unbedingt probieren, Madame! Zum Tausch darf ich doch mal bei Ihnen …“

Tischsitten hatten früher vor allem eine soziale Funktion: Wer sie beherrschte, konnte sich von den Unkundigen abgrenzen. Das machte sich vor allem der Adel zunutze, der damit das aufstrebende Bürgertum auf Distanz hielt. Wer heute etwas falsch macht, wird auch satt und, hoffentlich von niemandem zurechtgewiesen.

Genug des Philosophierens. Kuhlmann tut nun seinen Sättigungsgrad kund: „Bin ich voll …“, lehnt sich zufrieden gähnend zurück, schaut auf seinem Smartphone nach Eiligem und macht kurze Stretch-Übungen mit den Armen.

Kuhlmann war erst kürzlich vom Biertrinker zum Weinkenner mutiert. Was die Leute immer haben: komplizierte Weinsprache! Mit ein wenig Disziplin kann man doch das Vokabular in kürzester Zeit auswendig lernen. Wie gepflegt er nun mit seinem Chef über das Bordeaux parlieren kann (und erst mit Mme Roussel). Ausdrücke und Bezeichnungen wie terroirgeprägt, Autochthon, avinieren, Eiweißschönung oder Gemischter Satz kommen ihm leicht über die Lippen. Und ah, diese Grand Vin und Premier cru, 94 PP (Parker-Punkte). Ein Mann definiert sich eben über das Auto, das er fährt, und über den Wein, den er trinkt, hat er gelernt. Auch ist er ein eindeutiger Etikettentrinker: „Ich trinke nur Château“, und gehört zur ABC-Front (Anything but Chardonnay – alles, nur kein Chardonnay) weil das hipp ist. Ja, er kennt sich aus. Stößchen! Erst kürzlich hatte er seinen Chef beim Verkosten in geselliger Runde einen dezenten Hinweis gegeben: „Der Wein hat aber einen gruseligen Korkfehler, haben Sie den nicht bemerkt?“

Er weiß, die Oper ist erst vorbei, wenn die dicke Dame gesungen hat, darum muss jetzt noch ein wenig Smalltalk mit der entzückenden Mme Roussel sein. Kuhlmann beherrscht das Einmaleins des Smalltalks mit lockerer Eleganz. Um zu zeigen wie gebildet er ist, baut er zahlreiche Fremdwörter, Fachausdrücke und Abkürzungen ein, verwendet komplizierte Wortlawinen. Witze kommen auch immer gut! Die meisten Menschen trauen sich schon bald unter ihrem Niveau zu lachen. „Und was machen Sie so?“ Die gesellschaftliche Qualität einer Person lässt sich mit Fragen zum Beruf, Einkommen, Beziehungen, Parteibuch und Alter erfragen. Die Safe Conversation Topics haben sich eindeutig verschoben – Drogenkonsum, Scheidungen, Botoxinjektionen, Betriebsinterna und Börsenverluste sind nun gängige Smalltalk-Themen.

Kleidung ist nonverbale Kommunikation. Knut Kuhlmann beherzigt diese Ansicht. In seiner Freizeit bevorzugt er eher den Räuber-Hotzenplotz-Stil („Aussage-T-Shirts lassen beim Gegenüber keine Zweifel über meine Weltanschauung aufkommen“), aber im Geschäft würde er die Kleiderordnung niemals ignorieren. Stilsicher ist sein Outfit am Vorstandsvorsitzenden ausgerichtet, so schafft es ihm Selbstbewusstsein, Präsenz und vor allem Authentizität.

Er ist sich seiner undisziplinierten Körpersilhouette hin und wieder schmerzlich bewusst. Darum hatte er sich bei seinem letzten Bangkok-Aufenthalt etliche Oberhemden bei einem 24h-Taylor maßschneidern lassen. Sein Monogramm jeweils gut sichtbar auf die Hemdentaschen gestickt. Der Mann hat es ja in Deutschland generell schwer beim Kleiderkauf. Es gibt kaum noch Herrenausstatter wie früher, die den Kunden beraten und einkleiden. Im obersten Stock eines Kaufhauses ist er alleine mit 4000 Hosen und einem Azubi!

Der Schuhkauf war entspannter – in seinen zweifarbigen Slippern kommt Kuhlmann todschick daher. Sein wuchtiger Chronograf mit Tele- und Tachymeter bis zu einer Tauchtiefe von 300 Metern am Handgelenk zeigt, mit wem man es zu tun hat in den Untiefen des Büros.

Wenn sich das Aperol-Spriz-Feeling im Unternehmen einstellt, zeigt das Thermometer 25 Grad im Schatten und mehr. Aber kaum vorstellbar, dass seine Dax-Vorstände neue Kennzahlen in Hemden mit kurzen Ärmeln und Sandalen präsentieren würden. Also ist das auch für Kuhlmann nichts. Finger weg von Leinen im Business – sagt Mme Roussel – darin wirken beide Geschlechter wie nach der Übernachtung unter einer Seine-Brücke!

Eine gute Hülle ist alles, erkennt Knut Kuhlmann. Ist der Wein in einer Holzkiste verpackt, nehmen wir ihn tendenziell als wertvoller wahr als er daherkommt. So ist es auch mit der Höflichkeit, dem Stil. Ein Luftkissen: Es mag wohl nichts drin sein, aber es mildert die Stöße des Lebens. Sagte schon Arthur Schopenhauer (1788-1860). Susanne Helbach-Grosser (2014)