So, nun müssen auch die französischen Gastronomen ihre Nahrungsabfälle aussortieren und wiederverwerten. Es wurde errechnet, dass bei jedem Restaurantbesuch zwischen 210 und 230 Gramm Lebensmittel pro Person weggeworfen werden. Weniger Abfall soll nun in der Mülltonne sein. Und Essensabfall wird teurer. Darum will die Regierung nicht nur die Gastro erziehen, sondern auch Gäste – zum Doggy Bag.
„Hundetüten“ jetzt auch für Feinschmecker Pflicht!
Hotels und Restaurants, die mindestens 180 Essen pro Tag servieren, sind seit Januar dieses Jahres angehalten, ihren Gästen die Reste vom Teller einzupacken. So soll der Abfall bis 2025 um die Hälfte verringert werden.
Früher, als wir als junge Familie des Öfteren im Sommer ein Urlaubshäuschen an der Côte d’Argent mieteten, gab es im Hinterland ein nobles Wirtshaus. Dort konnte Köstliches aus Meer und Land bestellt werden. Madame fungierte streng im Restaurant und achtete auf Stil. Schrammte der Laden doch immer haarscharf an seinem ersten Michelin-Stern vorbei. Monsieur hörten wir einmal nach ihren Klagen aus der Küche raunzen: „Hauptsache, dem Gast schmeckt’s und er zahlt – das Sakko ist mir egal.“
Die Portionen waren riesig. Seeluft und Atlantikwellen machen zwar hungrig aber immer wieder kapitulierten wir schon beim Hauptgericht und hätten gerne die Reste unseres entrecôte bordelaise oder confit des canards einpacken lassen. Einen Doggy Bag erbitten? Mon dieu, welch wahnwitziger Gedanke! Alles, was vom Gast zurückkam, mästete das Schwein im Hinterhof.
Doggy Bag-Verweigerer
Sich das Überbleibsel des eigenen Menüs mit nach Hause zu nehmen, ist in Frankreich verpönt und peinlich. Immer schon schreckte Franzosen der Name Doggy Bag ab. Die Hundeknochen- und Napfassoziationen waren und sind für ihn unangenehm. In bürgerlichen und aristokratischen Kreisen war es früher üblich, nicht alles aufzuessen, um zu zeigen, dass an Lebensmitteln kein Mangel herrschte (daher die ehemalige Sitte, Suppenteller nicht leer zu löffeln). So nährten Speisereste einst auch Angestellte und sogar Bettler, die draußen warteten.
Ganz anders in den unteren Schichten. Dort aß man natürlich seine Mahlzeit auf. In Deutschland lernten Kinder: „Esst schön auf, dann gibt es morgen gutes Wetter“. Allerdings ist das „Wetter“ wohl einem altdeutschen Dialekt entlehnt und heißt „wedder = wieder“. „Wenn heute alles aufgegessen wird, kann morgen wieder frisches Essen gekocht werden und der Mampf vom Vortag muss nicht aufgewärmt werden“ (Und wer möchte schon bei diesen immer heißer werdenden Sommern durch Aufessen dafür verantwortlich gemacht werden?)
Doggy Bag-Enthusiasten
Im Doggy-Bag-Ursprungsland Amerika soll die Box 1943 in Kalifornien erfunden worden sein, als das Essen wegen des Zweiten Weltkriegs rationiert worden war. Als einst populärer Spruch galt: „Are you happy over dinner? Don’t have all the fun alone. Remember the pup who`s waiting. And take him a luscious bone.” Ein Schelm, der dies schon damals glaubte.
Wer ein bisschen recherchiert findet viele positive Beispiele zur gastronomischen Müllvermeidung. In manchen „All-you-can-eat“-Restaurants (zum Beispiel Xi’ An, China) sowie dem asiatischen Restaurant „Mahlzeit Live“, Hamburg, werden Aufschläge für liegen gelassenes Essen fällig. Die Gäste finden das prima und bedienen sich viel bewusster. Auch etliche australische Restaurants gewähren Rabatt fürs Aufessen und bestrafen Nicht-Aufesser. Der Pariser Restaurant-Besitzer Raphaël Sery vom Le Goyavier überrascht seine Kunden schon seit 1986 mit dem Vorschlag, die Reste ihres Gerichts nach Hause zu tragen. In allen Regionen, dort wo es Winzerlokale, Straußenwirtschaften oder Besenbeizen gibt, konnte man das schon immer. Griechische Lokale hierzulande sind da auch nicht zimperlich – bei den Portionen. Großbritannien initiierte bereits 2011 eine „Mitnahme-Initiative“. Und auch in Schweden nutzen die Menschen seit etlichen Jahren Boxen für „Beste Reste“; in Schweizer Hotels wird über kleinere Portionen auf dem Teller eifrig diskutiert.
Psychologisch gesehen, lässt man sich wohl eher Produkte einpacken, die an Straßenverkauf erinnern, wie ein Stück Pizza.
„Le gourmet bag“
Diese Umbenennung mag den Ruf (in Frankreich) vielleicht aufpolieren. Am Bag-Image arbeitet auch Studentin Anne Poggenpohl aus Köln. Sie entwarf die Take-Away-Verpackung „C’était Bien Bon“ für „kostbare Essensreste“ und erhielt dafür vom französischen Conseil National d’Emballage (Nationaler Rat für Verpackungen) beim Wettbewerb Emballé 3.0 die Juryauszeichnung „Coup du Coeur“. Hergestellt wird die Restebox in zwei verschiedenen Größen und natürlich aus recyclingfähigem Kunststoff. Auch der Transport von Soßen sei kein Problem (anne-poggenpohl.de).
Bezahlt ist bezahlt und kann mitgenommen werden. Oder?
- Das gilt für bestelltes Essen im Restaurant
- Das gilt für ein komplett bezahltes Buffet etwa bei Familienfeiern
- Das gilt nicht für Buffets zu einem festen Betrag (z. B. der Sonntags-Brunch.)
Die Entscheidung für oder gegen die Mitnahme des eigenen Restessens hängt natürlich noch von anderen Faktoren ab: Wenn man als einzige Person der Tischgesellschaft darum bittet, könnte man dann als unkultiviert angesehen werden? Die Preisklasse des Restaurants spielt bestimmt auch eine Rolle sowie die berechtigte Frage, wo bewahre ich mein halbes Schnitzel etwa nach einem Geschäftsessen auf? Lasse ich die Finger von leicht verderblicher Ware?
Um restlos genießen zu können, müssen mehr Wahlmöglichkeiten für Portionsgrößen her. Und die Bitte, seine Essensreste mitzunehmen, muss normal werden. Dann braucht man auch nicht mehr den Vierbeiner vorzuschieben, in dessen Tüte die praktisch veranlagte Kellnerin gleich noch andere Knochen aus der Küche packt.
Im letzten Jahr empfahlen wir Freunden einen Abstecher in besagtes Restaurant an der Côte d’Argent. Lange schon hatte es der Sohn übernommen. Und ob Sie es glauben oder nicht: immer noch freut sich hinter dem Haus eine fidele Sau aufs Menschenessen, obwohl das schon seit 2006 verboten ist (Schweinepest-Richtlinie). Schert das einen Franzosen? Susanne Helbach-Grosser (01. 2016)