Noch vor etlichen Jahren wurden eher harmlose Etikette-Tipps zum stilvollen Verhalten beim Frühstück und am Frühstücksbuffet gegeben, wie: „Nehmen Sie für jeden Gang ans Buffet einen
frischen Teller“, „Stippen Sie die Backwaren nicht in Ihren Kaffee“, „Zerschneiden Sie das Frühstücks-Brötchen, ohne es anzuheben auf dem Teller in zwei Hälften und halten Sie den Belag beim Abbeißen nicht mit den Fingern fest.“
Aus heutiger Sicht gelten diese Hinweise als eher belanglos. Wie das? Was früher als Pflicht galt, ist heutzutage schon die Anstands-Kür – nimmt man international besuchte Hotels als Grundlage. Die Sitten
sind mittlerweile arg vermischt – und nein, ich habe mich noch nicht daran gewöhnt! Nachfolgend einige Betrachtungen aus gehobenen Mittelklasse-Hotels in Deutschland.
Grundsätzlich sind doch Buffets eine großartige Idee, findet die Mehrheit.
Aus einem breiten Potpourri kann sich jeder Gast nach seinen kulinarischen Vorlieben selbst bedienen. Hat man erst einmal kapiert wie all diese silbernen Särge mit ihren Rolltop-Deckeln, Abdeckhauben, Pumpkannen, Saftpressen, Quetschflaschen und modernsten Kaffeespender funktionieren, kann man sich auf der ganzen Welt bewegen. Sie sind so zu sagen Déjà-vu-Garanten. Und die ganze Welt bewegt sich bei uns.
Ess-Kultur international
Wer früh dran ist und etwas erleben möchte, frühstückt mit Asiaten. Denn diese sind auch früh dran. Beim Check-in am Vortag gab es unter Umständen schon eine Chinesen-Warnung für den nächsten Morgen: „Riesige Reisegruppe, fremder Kulturkreis, spezielle Tischmanieren, hoher Geräuschpegel, lieber erst um 8 Uhr frühstücken“.
Große Häuser bieten separate Räume für Japaner und Chinesen an, die sich dadurch allerdings oft diskriminiert fühlen. Allseits bekannt: chinesische Essgewohnheiten sind anders. Da ist noch so viel Natürlichkeit im Spiel. Es liegt wohl auch einfach in des Menschen Natur, immer als Erster das Beste bekommen zu wollen. Wie der Habicht auf die Feldmaus stürzt sich der Gast auf Weißwürste und kippt an der Saftbar gleich mal 2 – 3 Gläser Flüssigkeit hinunter. Ins Croissant beißt er schon auf dem Weg zum Tisch.
Bevor ich das Thema nun weiter sarkastisch angehe, sollte man wissen, dass Chinesen fixen Service gewöhnt sind. Wartezeiten werden als äußerst unangenehm empfunden, weil durch die schnelle Erledigung der Wünsche auch der gesellschaftliche Status des einzelnen Gastes dokumentiert wird. Wenn also lautstark Anweisungen an das Personal abgefeuert werden, geht es einzig um das persönliche Image und den eventuell drohenden Gesichtsverlust durch eine unangemessene Wartezeit. Und was auch nicht unerwähnt bleiben darf: was wir hierzulande (und auch in China selbst) beobachten, ist das rüde Benehmen einer Bevölkerungsschicht, das auch in China nicht gerne gesehen wird.
Mit dem ordentlich sortierten Frühstücksangebot eines Mittelklasse-Hotels kommen Chinesen sehr gut zurecht. Weiche Backwaren sind allerdings wichtig – die gilt es vor der Auswahl im Brotkorb mit der Hand zu testen. Eine große Experimentierfreude hinsichtlich des Essens ist genauso zu beobachten wie das Tauschen und Teilen am Tisch. Von üppig beladenen Tellern mit bunt gemischten süßen und salzigen Speisen bedient sich jeder. Dinge, die dabei auf Tisch oder Boden fallen, bleiben wo sie sind – man möchte ja nicht gierig erscheinen. Und falls die Nacht dann doch zu kurz war, legt sich der praktisch veranlagte Chinese mit dem Oberkörper einfach noch ein wenig auf den Restauranttisch.
Bevorzug der chinesische Gast schon zum Frühstück warme Speisen, so ist der japanische auch deutschem Wurstaufschnitt zugetan. Den idealen Muntermacher umeboshi (salzig-sauer eingelegte, grüne Pflaumen) findet man nun schon häufig auf Buffets in internationalen Hotels, ebenso wie frisches und eingelegtes Gemüse. Wenn der europäische Gast morgens persönlich begrüßt und an seinen Tisch begleitet wird, nimmt er sein Frühstück bestimmt in der „Trüffelklasse“ ein. Japaner erwarten diese Behandlung in jeder Kategorie.
Die Vorlieben indischer Gäste können mit einer Mischung aus klassischem englischem Frühstück und warmen indischen Speisen beschrieben werden. Da letztere auf deutschen Buffets sehr selten anzutreffen sind, langt es oft schon, die vorhandenen Gerichte mit „veg“ und „non veg“ zu kennzeichnen, weil etwa 40% der Inder Vegetarier sind. Inder sind gesellig und es gewöhnt, zu jeder Zeit und überall zu essen. Es sollte nicht als unhöflich gewertet werden, wenn sie ihr Frühstück (vielleicht auch außer Haus bestellte Gerichte) in der Hotellobby oder auf den Grünflächen des Hotels zu sich nehmen.
Der Amerikaner möchte den Tag mit Aktivitäten auszukosten und ist darum früh im Frühstücksraum anzutreffen. Aufmerksamen Service ist auch er gewöhnt, warten mag er nicht. Sein bevorzugtes Speisenangebot: Orangensaft, Waffeln, fluffiges Toastbrot, Ahornsirup, Schinken, Rührei oder Spiegelei.
Die englische Stärkung am Morgen beinhaltet eine halbe Grapefruit, Porridge, Speck, Würstchen, Rührei, gebackene Bohnen, Brown Sauce und einen Toast mit Orangenmarmelade. Was mancher Brite zum Frühstück isst, könnten die meisten Deutschen über den ganzen Tag verteilen. Der schnöde Teutone hat eben nicht verstanden, dass es sich beim Frühstück um die wichtigste Mahlzeit des Tages handelt ????. Dabei ist das „Full English Breakfast“ viel mehr als eine Speisefolge. Es entspricht einer Huldigung des Tages, einem Zelebrieren der eigenen Endlichkeit – das ist kulinarische Poesie. Ein weiteres Plus: nach der morgendlichen Mahlzeit kann man sich den Lunch spren.
Spätes Frühstück
Russische und arabische Gäste nehmen ihr Frühstück gerne später ein. Dann gibt es meist schon Lücken im deutschen Buffet. Und der Service guckt streng. Die Reste der Rührei-Imitate aus Eipulver sind festgebappt, Sausages runzeln, der Käse schwitzt, Wursträdchen wellen sich grau. Ist das Bild der Verwüstung etwa gewollt? Niemand muss sich schämen, wenn er ausschläft. Zimmer und frisches Frühstück müssten dem Gast mindestens bis 12 Uhr zur Verfügung stehen.
Vorgenannte beiden Bevölkerungsgruppen erfreuen ein Angebot nach amerikanischem Geschmack mit Obst, Würstchen, Speck, Bratkartoffeln, Pfannkuchen und Eierspeisen. Wer allerdings einem hohen Gästeaufkommen aus dem arabischen Kulturkreis gerecht werden möchte, bringt zum Beispiel Couscous, Hommos, gefüllte Weinblätter, Bohnen und Fladenbrot ein. Der beträchtliche Geräuschpegel durch Kinder ist nicht jedermanns Ding. Berücksichtigt sollte hier jedoch der arabische Stellenwert der Kids werden. Sie dürfen ziemlich frei aufwachsen und die allgegenwärtigen Nannys „erziehen“ nicht sondern beaufsichtigen lediglich.
In den meisten südlichen Ländern fällt das erste Frühstück recht karg aus. So auch in Spanien. Kaffee oder heiße Schokolade mit einem Gebäckteil müssen reichen. Die Trinkschokolade hat eine dickflüssige Konsistenz, so kann das Gebäck schön gestippt werden. Keine Unsitte in Spanien!
Das üppige türkische Frühstück heißt Kahvaltı. Ist die Zeit knapp, reichen auch Tee, Brot und Käse. Ein türkisches Rührei (Menemen) mit Zwiebeln, grüner Paprika oder Peperoni und Tomaten kann auch ein deutscher Koch leicht zubereiten. Für Menschen islamischen Glaubens ist darauf zu achten, dass nur Lebensmittel auf den Tisch kommen, die halāl sind – also nach den Speisevorschriften des Islam erlaubt.
Tages-Proviant vom Frühstücksbuffet
Manche Menschen empfinden das All-you-can-eat-Frühstücksbuffet als die unglücklichste Erfindung der Gastronomiegeschichte. Völlerei, Futterneid und Raffgier kämen als üble Seiten der Menschheit zum Vorschein!
Wer morgens noch nichts essen kann, nimmt sich etwas aus dem Angebot mit. Gegen ein belegtes Brötchen ist nichts einzuwenden. Das muss noch nicht einmal heimlich eingesteckt werden. Auch der Apfel nicht. Wer jedoch Waffeln, Schinken und Würstchen gleich in die Serviette packt und im Rucksack verschwinden lässt, plündert. Bezahlt ist schließlich (nicht) bezahlt! Servicekräfte berichten von gierigem Hamstern in mitgebrachte Frischhalteboxen, inklusive Entwenden von Sektflaschen. Rausgeschmuggelt würden Essensvorräte für den ganzen Tag.
Wie angenehm, wenn man in einem Hotel abgestiegen ist, in dem ein individuelles Frühstück bestellt werden kann. Unter Berücksichtigung persönlicher Wünsche und Menge.
Mit der schönsten Frage im Frühstücksraum: „Wie wünschen Sie Ihr Ei?“ Ihre Susanne Helbach-Grosser (2017)